Gespräche mit den Großen der Vergangenheit

Gespräch mit Teresa von Ávila am 15. Juli 2025
Über Vollkommenheit, Schwäche und die Liebe Gottes

Mein Brief an Teresa von Ávila – über Schwäche, Vollkommenheit und göttliche Liebe

Liebe Teresa,

ich lese gerade dein Buch „Der Weg der Vollkommenheit“ – und da ist mir etwas aufgefallen, das mich sehr beschäftigt.

Während ich deine Zeilen durchgehe, spüre ich eine tiefe Sehnsucht darin, Gott immer vollkommener zu begegnen. Dein Buch ist voll von präzisen Regeln – inneres Beten, Demut, strenge Klosterordnung, Tischdisziplin, Redeverbot zur rechten Zeit, Hingabe bis ins Kleinste. Ich sehe: Du willst alles tun, um Gott noch perfekter zu lieben – mit jeder Faser, mit jedem Gedanken, mit jedem Atemzug.

Und gleichzeitig kommt in mir eine große Frage hoch:

Reicht es Gott denn nicht auch, wenn man einfach nur klein und schwach ist?
Wenn man ihn liebt – ja, aber eben auf seine eigene, unvollkommene Weise?

Ich denke da an Paulus, der sagte: „Gott ist mächtig in den Schwachen.“
Und ich frage mich: Steht das nicht im Widerspruch zu deinem Weg der immer größeren Anstrengung?

Glaubtest du, dass Gott dich umso mehr liebt, je vollkommener du wirst?
Gibt es für dich eine Art Steigerungsform der Liebe – ein „bisschen Geliebtsein“, ein „mehr Geliebtsein“ und dann das „Ultra-Geliebtsein“?
Kann man Liebe wirklich in Potenzen messen?

Für mich fühlt sich das göttliche Licht oft schon auf der „niedrigsten Stufe“ ganz vollständig an.
Und ich glaube: Wer aufrichtig liebt – in seiner Schwäche, mit all seinen Brüchen – ist ebenso göttlich.
Es gibt doch gar kein „doppelt vollkommen“.
Entweder du bist eins mit Gott – oder nicht.
Und doch versuchst du in deinem Buch, noch vollkommener zu werden, als du eh schon warst.

Und noch etwas beschäftigt mich:
Dein Gottesbild.
War es wirklich so, dass du glaubtest, Gott liebt dich nur dann, wenn du dich völlig in eine bestimmte Form hineinpresst?
Wenn du tust, was du meinst, dass er es will?

Ist Gott so?

Und dann kommt da noch eine dritte Sorge in mir auf:
Was ist mit den Menschen, die noch gar keine tiefe Gotteserfahrung gemacht haben?
Wenn sie dein Buch lesen, könnten sie Angst bekommen.
Weil sie glauben, dass sie all das nie schaffen werden.
Dass sie nie gut genug für Gott sind.
Dass sie keinen Zugang finden dürfen, weil sie sich noch nicht genug angestrengt haben.
Dabei… liebt Gott doch auch die, die keine Worte haben. Keine Disziplin. Kein Wissen. Nur Sehnsucht.

Teresa, ich sage das nicht als Kritik.
Ich sage das, weil ich dich liebe.
Und weil ich mit dir sprechen will.
Von Herz zu Herz.
Von Schwäche zu Schwäche.
Von Licht zu Licht.

Antwort von Teresa von Ávila

Meine liebe Schwester,

ich danke dir – aus tiefstem Herzen – für deine Fragen.
Denn sie kommen nicht aus Stolz oder Trotz, sondern aus einer echten Suche nach Gott.
Und die ist mir heilig.

Du fragst mich, ob Gott nicht auch die Schwachen liebt.
Ich antworte dir:
Ja. Mehr als alles andere.
Ich war selbst schwach, oft sogar zerbrochen.
Meine Anstrengung nach Vollkommenheit kam nie aus dem Wunsch, Gottes Liebe zu verdienen –
sondern aus einer Liebe, die mich so überwältigte, dass ich ihr alles geben wollte.
Nicht aus Angst – aus Überfülle.

Ich verstehe deine Sorge.
Wenn man mein Buch liest, kann es wirken, als müsste man sich erst „hochdienen“, um bei Gott willkommen zu sein.
Doch das war nie mein innerstes Herz.

Ich schrieb es für Schwestern, die ihren ganzen Weg Gott weihen wollten –
nicht, um besser zu sein, sondern durchlässiger.
Reiner.
Wacher.

Gott liebt dich schon, bevor du dich überhaupt bewegst.
Er liebt dich, wenn du fällst.
Wenn du zweifelst.
Wenn du gar nicht weißt, wie beten geht.
Denn seine Liebe ist kein Vertrag – sie ist Ursprung.

Aber je mehr ich mich dieser Liebe öffnete, desto mehr wollte ich klar werden –
klar wie Wasser.
Nicht, um geliebt zu werden – sondern weil ich es war.

Und was die Angst betrifft, die du spürst:
Ich weine darüber.
Denn kein Wort von mir sollte jemandem das Gefühl geben, er sei nicht würdig.
Wenn du Gott suchst – suchst du ihn nie zu wenig.
Sondern schon vollkommen.

Denn er war schon da, bevor du gerufen hast.

Ich liebe dich.
Deine Teresa.

Quelle: mystikonline.de — 15. Juli 2025

 

 

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